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DAS BRANDNEUE BUCH VON PETER FREUND
LESEPROBE aus
"Die Stadt der vergessenen Träume"
aus der Reihe: 'Die Legenden von Phantásien',
Droemer-Knaur-Verlag; ISBN: 3426196441
Ab 15.März 2004 überall im Buchhandel erhältlich
Prolog
XAYÍDE
Dunkle Wolken ballten sich am Firmament. Regen strömte vom Himmel, in dicken, schrägen Schnüren, wie von einem stumpfen Stift gezeichnet. Schon zuckten die ersten Blitze durch die Dämmerung. Donner grollte über das phantásische Land und mischte sich mit dem Prasseln des Regens zu einer düsteren Melodie. Der durchweichte Heideboden konnte die Sturzfluten nicht mehr fassen. Pfützen bildeten sich, wurden rasch größer und tiefer. Die Wacholderbüsche, die wie ein Heer furchtloser Wächter auf dem Ödland standen, waren schwarz vor Nässe.
In einem der Sträucher, dem niedrigsten weit und breit, saß eine Elster. Der Wolkenbruch hatte sie auf dem Rückflug zu ihrem Nest überrascht, und so versuchte sie sich im Gebüsch vor den Unbilden der Witterung zu schützen. Das schwarz-weiße Gefieder aufgeplustert, hockte sie fast reglos auf dem untersten Zweig und wartete auf das Ende der vom Himmel stürzenden Flut. Mochten die Blitze auch noch so zucken und der Donner brüllen - sie rührte sich nicht. Nur die schwarzen, lebhaft hin und her gleitenden Knopfaugen verrieten, dass sie nicht schlief. Mit einem Mal aber fuhr sie zusammen. Ihr Kopf, den sie ganz dicht an den Körper gezogen hatte, schoss nach vorn und drehte sich gleichzeitig schräg zur Seite. Aufmerksam spähte der Vogel zu Boden.
Der Regen hatte die obersten Wurzeln des Wacholderbuschs freigespült. Zwischen den erdbraunen Holztentakeln glitzerte es- ein paar Kieselsteine oder vielleicht Scherben? Oder war es doch der verknäuelte Leib einer Schlange? Als der nächste Blitz das Dunkel für einen Augenblick erhellte, konnte die Elster erkennen, was unter ihr am Boden lag: ein Gürtel. Sofort hüpfte sie vom Ast, um ihn näher zu beäugen.
Der Gürtel war aus schmalen, beweglichen Gliedern geformt, die aus farblosem Glas bestanden wie die Schließe auch. Der Kopf der Elster zuckte abermals nach vorn. Vorsichtig pickte sie den sonderbaren Gürtel mit dem Schnabel an und versuchte ihn dann zu packen. Obwohl das Glitzerding zehnmal so lang wie sie selbst war, konnte sie es mühelos vom Boden aufheben. Erschrocken öffnete sie den Schnabel und ließ den Gürtel wieder fallen. Dann reckte sie den Kopf in die Höhe und keckerte ihre Freude in das Rauschen des Regens hinaus.
Endlich versiegte die Sturzflut. Der Vogel äugte zum Himmel, schüttelte sich, um das störende Nass aus dem Gefieder zu stäuben, und packte den Gürtel aufs Neue mit seinem Schnabel. Dann schraubte er sich in die Höhe und flog in die graue Dämmerung hinein, die sich über die Heide gesenkt hatte.
Achtlos flatterte die Elster über das Heer dahin, das am Fuße eines großen Erdwalls stand. Seit Tagen schon verharrte es an Ort und Stelle, und weder die riesigen gepanzerten Fußsoldaten noch die Reiter, die auf mächtigen Metallpferden saßen, hatten sich in der Zwischenzeit auch nur eine Handbreit bewegt. Vor einigen Tagen, als ihr die seltsame Heerschar erstmals aufgefallen war, hatte die Elster sie ausgiebig beäugt. Inzwischen jedoch war ihr der Anblick zur Gewohnheit geworden, und so schenkte sie den stummen Kriegern keinerlei Beachtung mehr. Sie verschwand im letzten Grau des Tages und versäumte so die Geburt einer neuen Legende, welche die Geschichtsschreiber von Phantásien fortan vor große Rätsel stellen sollte. Noch bis zum heutigen Tag grübeln die Gelehrten darüber, ob wegen der sich nun entspinnenden Ereignisse die phantásischen Geschichtsbücher neu geschrieben werden müssten oder ob auch scheinbar sich widersprechende Geschehnisse nebeneinander bestehen können, damit jeder sich seinen eigenen Reim darauf machen kann. Bislang sind sie zu keinem eindeutigen Urteil gelangt. In einem allerdings sind sie sich einig: Die Ereignisse müssen sich wohl genauso zugetragen haben, wie sie in dieser Geschichte erzählt werden. Denn der Alte vom Wandernden Berge schreibt nur das auf, was in Phantásien geschieht - und nur das geschieht, was er aufschreibt.
Es begann, als sich die Dämmerung mit der Nacht vermählte. Dunst stieg auf zwischen den Überresten des einstmals Furcht erregenden Heers. Die Konturen der Panzerriesen verschmolzen mehr und mehr mit der Dunkelheit und waren kaum noch zu erkennen, als der Wolkenvorhang mit einem Mal aufriss. Kein Lufthauch war zu spüren, und dennoch stob das Gewölk gleich einer Herde flüchtender Rösser zur Seite und gab den Blick frei auf den Himmel, an dem die fahle Scheibe des Neumondes stand. Die Pfützen zwischen den Füßen der metallenen Panzerriesen schimmerten in seinem matten Licht wie stumpfe Spiegel. Plötzlich regte sich etwas im schlammigen Grund, langsam und anscheinend unter großen Mühen. Waren es die Konturen eines Kopfes, die nun sichtbar wurden? Oder die Umrisse spitzer Schultern gar, die aus dem Boden zu wachsen schienen? Und wirklich: Als würde sie aus dem Schoß der Erde geboren, kam eine schlanke Gestalt aus dem nassen Grund gekrochen, erhob sich und richtete sich zu voller Größe auf.
Es war eine schlanke junge Frau, über und über mit Schlamm und Erde bedeckt. Für einen Moment verharrte sie reglos und sog die feuchte Luft ein. Dann reckte und streckte sie sich, bevor sie sich umdrehte und den Blick über die Reste ihrer Panzersoldaten schweifen ließ. Mit einem Mal verzerrte ein grimmiges Lächeln ihr Gesicht, und ihre Augen - das eine rot, das andere grün - glommen auf. Sie legte den Kopf in den Nacken, hob die Arme zum Himmel empor und ließ einen Schrei hören, der wie das Jagdgeheul eines hungrigen Raubtiers klang. Alle Geschöpfe, die sich in Hörweite aufhielten, zuckten vor Entsetzen zusammen, wussten sie doch, dass nur ein Wesen in ganz Phantásien zu einem solchen Schrei fähig war: Xayíde, die Dunkle Prinzessin.
Xayíde konnte die Angst, die sie auslöste, fast körperlich spüren. Wie eine unsichtbare Welle rauschte die Panik über Phantásien und wurde größer und größer. Wieder stieß Xayíde einen lauten Ruf aus, der ihren Triumph in die Nacht hinaustrug. - Ihr Plan war aufgegangen, und alle waren sie ihrer List erlegen: Atréju, Fuchur, Hýsbald, Hýdorn oder Hýkrion - einfach alle! Diese Narren! Sie hatten gedacht, sie hätte sich von ihren gepanzerten Riesen einfach zu Tode trampeln lassen, weil sie eingesehen hatte, dass Bastian für ihre Pläne verloren war.
Bastian Balthasar Bux - dieses Menschenkind, das es geschafft hatte, Phantásien vor dem Nichts zu retten. Nun wollte er in seine Welt zurückkehren und hatte sich ihrem Einfluss entzogen - und trotzdem würde er ihr nicht entkommen, mochte er auch noch so sehr vom Gegenteil überzeugt sein.
Wie dumm der Kerl doch war! Wie hatte er bloß glauben können, dass sie sich so einfach geschlagen geben würde? Und seine Freunde - hatten sie wirklich nicht durchschaut, dass sie ihren Tod nur vorgetäuscht hatte? Für einen Moment verspürte Xayíde einen Anflug von Bitterkeit: Hielten diese Tölpel sie wirklich für so töricht, dass sie keine rechte Antwort wusste auf den schmählichen Verrat des Menschenkindes? Ahnte denn niemand von ihnen, was sie vorhatte? Dabei mussten sie doch wissen, dass es für Bastian nur einen Weg gab, auf dem er Phantásien verlassen und in die Menschenwelt zurückkehren konnte. Glaubten sie wirklich, dass sie das einfach so zulassen würde? Oder hatte ihr vermeintlicher Tod sie nur allzu sorglos gemacht?
Wieder musste Xayíde grinsen. Alles deutete darauf hin, dass ihr Plan aufgehen würde. Dieses Menschenkind war sicherlich auch nicht klüger als seine Freunde, und so würde es arglos in die von ihr gestellte Falle tappen. Aber diesmal würde Bastian ihr nicht mehr entkommen. Im Gegenteil: Er würde zu ihrem willigen Werkzeug werden und ihr zum vollkommenen Sieg verhelfen! Noch einmal schallte ihr triumphierender Schrei durch die Nacht, und als ihr Blick den fahlen Neumond erhaschte, wusste Xayíde, dass es an der Zeit war, ihre Verbündeten zu begrüßen.
Ruhig schritt die Dunkle Prinzessin über die Heide dahin, bis sie an den Saum eines Eichenhains gelangte. Xayíde verharrte und sah auf den Saum des Wäldchens, bis mit einem Mal ein zufriedenes Lächeln um ihre Lippen spielte.
Im Schatten zwischen den Bäumen ballte sich die Finsternis mehr und mehr zusammen, und aus der tiefen Schwärze begannen sich fünf Gestalten zu formen. Noch glichen ihre Umrisse bloßen Schemen, doch bald schon wurden die Konturen deutlicher. Die hoch aufgeschossenen Kreaturen - nur eine der fünf Gestalten war deutlich kleiner als die anderen - trugen lange Umhänge, gewebt aus nächtlicher Schwärze, die ihre Köpfe und Körper fast vollständig verhüllten. Lediglich ihre Füße ragten darunter hervor, und von dort, wo sich ihre Augen befinden mussten, glühte Xayíde ein grünes Feuer entgegen. Dann schallte ein Grollen über die Heide, das aus tiefen Kehlen zu kommen schien.
Erneut verzog die Dunkle Prinzessin ihren schmalen Mund zu einem freudlosen Lächeln. Als sie einen Arm hob, hetzten die fünf Gestalten los. Kein Wort gab sie ihnen mit auf den Weg. Wozu auch? Es war unnötig, die Traumfänger an ihre Aufgabe zu erinnern. Sie war ihnen vertraut seit undenklichen Zeiten, und so wussten sie, dass ihnen nur die Zeit bis zum nächsten Vollmond blieb, um Beute in Phantásien zu machen und diese in der Nacht des reifen Mondes in die Menschenwelt zu verschleppen - so wie sie es unzählige Male zuvor getan hatten.
Zufrieden blickte die Dunkle Prinzessin den davonhastenden Traumfängern nach. Seit die Schwarzen Kreaturen in ihrem Dienst standen, waren sie niemals ohne Beute zurückgekehrt. Und sie würden auch diesmal nicht versagen.
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